Im Oktober wird ein neues Parlament gewählt. Welche Parteien haben gesundheitspolitische Initiativen lanciert? Welche nicht? Und warum? Wenige Monate vor den Wahlen liefert die Tagung der SGGP eine wertvolle Standortbestimmung.
Seit 1994, als das Krankversicherungsgesetz eingeführt wurde, hat sich im Schweizer Gesundheitssystem einiges verändert: Tarifeingriffe, neue Berufsbilder, neue Ausbildungsgänge, Wandel im ambulanten wie im stationären Sektor. «Brauchte es dafür die Gesundheitspolitik? Oder hätte sich das Gesundheitswesen auch sonst so entwickelt», fragt Jean-François Steiert, Präsident der Schweizerischen Gesellschaft für Gesundheitspolitik SGGP. Er lässt die Frage unbeantwortet. Antworten erwartet er an der Tagung der SGGP von den eingeladenen Gästen. Vertreter aller grossen Schweizer Parteien nehmen auf dem Podium Platz – und trotz unterschiedlicher Strategien zeigen sich überraschende Gemeinsamkeiten.
Ruth Humbel, CVP-Nationalrätin und erfahrene Gesundheitspolitikerin, erklärt, weshalb ihre Partei die Kostenbremse-Initiative lanciert hat: «Rund 30 Milliarden Franken geben wir in der obligatorischen Krankenversicherung aus. Diese Ausgaben wachsen ohne Steuerung, ohne, dass jemand Verantwortung übernimmt». Die Kostenbremse sei ein Druckmittel. «Spitalaufenthalte wegen Falschmedikation oder unnötige Operationen belegen, dass die Akteure eigentlich selber wissen, was zu tun ist.» Das Fehlverhalten der Leistungserbringer ist für Humbel die Folge falscher Anreize, fehlender Vorgaben und schwacher Tarifpartnerschaft. «Wenn die Akteure selber keine Zielvorgaben aufstellen, die Tarifautonomie nicht nutzen können, dann muss der Bundesrat eingreifen.» Über die konkrete Umsetzung der Kostenbremse schweigt sich die CVP-Nationalrätin aus und verweist auf den Gesetzgeber.
Die Sozialdemokratische Partei (SP) setzt im Wahljahr bei der Kostenverteilung an. «Die Prämien für Krankenkassen steigen schneller als Löhne und Renten», stellt SP-Nationalrätin Barbara Gysi klar. «Schweizer Haushalte sollten nicht mehr als 8 Prozent ihres Einkommens für Prämien ausgeben. Doch vielerorts betragen diese bereits ein Fünftel des Haushaltsbudgets.» Die SP will mit ihrer Initiative das System der Prämienverbilligungen unter den Kantonen harmonisieren. Viele Kantone gewähren immer weniger Verbilligungen. Die Unterschiede sind beträchtlich. Gysi erwähnt den Kanton Luzern, wo kürzlich das Bundesgericht entschieden hat, dass die Einkommensgrenze zu tief angesetzt wurde. Nun müssen Kanton und Gemeinden einen Millionenbetrag aufwenden, um nachträglich Verbilligungen zu finanzieren.
«Wenn die Akteure selber keine Zielvorgaben aufstellen, die Tarifautonomie nicht nutzen können, dann muss der Bundesrat eingreifen.»
Eines der besten Gesundheitssysteme der Welt
Die Waadtländer FDP-Nationalrätin Isabel Moret bringt eine andere Perspektive in die Diskussion ein. «Wir haben die höchste Lebenserwartung und eines der besten Gesundheitssysteme der Welt». Aus ihrer Sicht lässt sich der Kostenanstieg im Gesundheitswesen durch drei Massnahmen dämpfen: Transparenz, Qualitätssicherung und Prävention.
«In der Prävention herrscht ein Röstigraben», erklärt Moret. In der Romandie werde es als normal angesehen, dass sich der Staat mit Präventionsprogrammen engagiert. In der Deutschschweiz setze man stärker auf Eigenverantwortung.
Lockerung des Vertragszwanges
SVP-Nationalrat Heinz Brand beunruhigt die Kostenzunahme in der obligatorischen Krankenversicherung. Er will beim medizinischen Angebot ansetzen und Versicherern mehr Freiheiten zur Regulierung einräumen. Dank einer Lockerung des Vertragszwangs und Qualitätsvorgaben sollen Leistungserbringer vom System ausgeschlossen werden können. Brand sieht aber auch die die Kantone in der Pflicht. «Nicht jeder Kanton dürfe sein eigenes Spitalsüppchen kochen».
Auch die Berner Grossrätin der Grünen Natalie Imboden kritisiert die Haltung der Kantone. «Die klaren Vorgaben des Krankenversicherungsgesetzes werden seit 20 Jahren nicht konsequent umgesetzt.» Sie fordert eine sozial finanzierte Gesundheitsversorgung – mit mehr Prävention, optimierten Behandlungsketten und integrierter Versorgungsplanung. Dazu brauche es, so Imboden, die einheitliche Finanzierung, um die Brüche zwischen ambulanten und stationären Leistungen zu schliessen.
«Die klaren Vorgaben des Krankenversicherungsgesetzes werden seit 20 Jahren nicht konsequent umgesetzt.»
Prämienverbilligung – strengere Auflagen für Kantone
Sind die Initiativen von SP und CVP mehrheitsfähig? Findet die erwähnte einheitliche Finanzierung in den eidgenössischen Räten Zuspruch? Die abschliessende Diskussionsrunde liefert einen ersten Hinweis auf ihre Erfolgsaussichten. Die SP will mit ihrer Initiative die Prämienzahler entlasten, die finanziellen Folgen des Systems der Kopfprämien abfedern und die kantonalen Unterschiede bei den Verbilligungen ausnivellieren. Beim letzten Punkt geniesst die SP Rückhalt bis in die politische Mitte. So fordert Ruth Humbel ein stärkeres Engagement der Kantone bei den Prämienverbilligungen – und knüpft diese an strengere Auflagen. «Eine Beteiligung des Bundes sollte von fixen Beitragszahlungen der Kantone abhängen.»
Breite Front gegen Globalbudget
Die andere Initiative, die Kostenbremse der CVP, hat bei den anwesenden Politikerinnen und Politikern einen schweren Stand. Sie scheint in der vorliegenden Form nicht mehrheitsfähig. Überraschend deutlich warnt FDP-Nationalrätin Isabel Moret vor den Folgen: «Die Kostenbremse läuft auf ein Globalbudget hinaus. Ist das Geld im November aufgebraucht, erhalten Patienten keine Leistungen mehr.» Zustimmung erhält die Freisinnige von linker Seite. Auch hier wird befürchtet, dass eine Kostenbremse zu einer Rationierung medizinischer Leistungen führt.
Zurückhaltung bei der einheitlichen Finanzierung
Die vielleicht wichtigste Reform der letzten Jahre ist: Efas, die einheitliche Finanzierung von ambulanten und stationären Leistungen. In den vergangenen Monaten hat sich ein breites Bündnis von Leistungserbringern, Krankenversicherern, Apothekern, Patientenschutzorganisationen sowie medizinischen Fachgesellschaften für Efas stark gemacht. Solche Schulterschlüsse sind in der Gesundheitspolitik selten. Angesichts der grossen Anzahl an Befürwortern erstaunt die Zurückhaltung der anwesenden Gesundheitspolitiker: Die SP ist nicht restlos überzeugt, dass die einheitliche Finanzierung medizinische Leistungen wie gewünscht in den ambulanten Bereich verlagert und verweist auf die kantonalen Operationslisten. Auch die FDP sieht in Efas nicht das Wundermittel gegen den Kostenanstieg. Und die SVP fordert für ihre Zustimmung zu Efas Zugeständnisse. Sie hat ihre Unterstützung an die Aufhebung des Vertragszwangs geknüpft. Einzig die Grünen und die CVP sehen in der Vorlage die integrierte Versorgung gestärkt.
Problem der Kostenverteilung oder der Finanzierung?
Welches Fazit lässt sich im Hinblick auf die eidgenössischen Wahlen ziehen? Die linken Parteien setzen bei der Kostenverteilung an. Sie fordern Mehrausgaben für weitere Prämienverbilligungen und monieren ein Versagen der kantonalen Politik. Dagegen gehen die bürgerlichen Parteien – namentlich die CVP und die SVP – von der Prämisse aus, dass wir uns das Gesundheitssystem nicht mehr leisten können. Das Finanzierungsproblem wollen die beiden Parteien unterschiedlich lösen. Die CVP will das Budget begrenzen, die SVP das medizinische Angebot. Während die CVP mit der Kostenbremse-Initiative in die Offensive gegangen ist, wählt die SVP den parlamentarischen Weg, um ihren Forderungen wie der Aufhebung des Vertragszwangs für Krankenversicherer zum Durchbruch zu verhelfen. Auch die Freisinnigen verzichten im Wahljahr bewusst auf gesundheitspolitische Initiativen. Sie wollen mit mehr Wettbewerb das bestehende, gut funktionierende System und ihre Akteure stärken. Radikallösungen wie ein Globalbudget lehnen sie ab. Stattdessen fordern sie einen Ausbau von Präventionsprogrammen. Mit gezielter Vorsorge sollen Gesundheitskosten gar nicht erst entstehen.
Die Tagung der SGGP hat einen hervorragenden Überblick über die Reformansätze der grossen Schweizer Parteien gegeben. Einen Hinweis darauf, welche Ansätze in der Bevölkerung letztlich am meisten überzeugen, werden die eidgenössischen Wahlen im Herbst geben.
Für SGGP-Mitglieder und interessierte Gesundheitsfachleute, Politikerinnen und Politiker, Journalistinnen und Journalisten, Medienschaffende und weitere Interessierte.
Am 20. Oktober 2019 wählt die Schweiz das Parlament für die 51. Legislaturperiode 2019 – 2023. Gemäss neuesten Umfragen ist eines der drängendsten Probleme der Schweizer Bevölkerung die Krankenkassenprämie. Nun ist die Prämie Ausdruck primär der Gesundheitskosten, letztlich aber des Gesundheitswesens allgemein.
Die SGGP will sich im Rahmen der diesjährigen Tagung im Kontext der Mitgliederversammlung der Frage stellen, was denn nun die politischen Parteien zur Gesundheitspolitik in ihren Wahlprogrammen sagen, wofür sie sich bei einer Wahl in den kommenden vier Jahren engagieren wollen und woran wir sie in 4 Jahren messen können.
Alle 5 grossen Parteien, die die Krankenkassenprämien und damit das Gesundheitswesen in den drei obersten Prioritäten führen, werden präsent sein und Red und Antwort stehen.
Datum
Mittwoch, 15. Mai 2019
Anmeldeschluss
Dienstag, 07. Mai 2019
Programm 15. Mai 2019
Begrüssung
Jean-François Steiert, Präsident SGGP
SGGP Mitgliederversammlung
Datum
Mittwoch, 15. Mai 2019
Anmeldeschluss
Dienstag, 07. Mai 2019